In der letzten Woche durfte ich, Julius Wolf, Mitarbeiter bei faX und Betroffener, das zweite Modul unserer Fachfortbildung zu Fachkraft für Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt in der Kindheit und Jugend gestalten und mein Wissen als Fachkraft, Betroffenenvertreter und persönlich Betroffener weitergeben. Mir saßen 20 Personen gegenüber, die schon ein hohes Maß an Fachwissen mitbrachten und großes Interesse haben zu lernen wie sie Kinder und Jugendliche (besser) schützen können und Betroffenen hilfreich, wertschätzend begegnen und unterstützen können. Es war mir ein Anliegen Wissen zum „Überleben in der Kindheit“ und der „Psychodynamik der Opfer“ zu vermitteln, mit Wissen der Aufarbeitungskommission, weiterer Literatur und meinem persönlichen Erleben. Auch das Aufzeigen der Heterogenität von Betroffenen, Tatgeschehen und Tatkontexten bei aller Ähnlichkeit der Dynamiken und Täterstrategien gelang mit Hilfe von diversen Zeitungsartikeln.
(erwachsen gewordenen) Betroffenen begegnen zu können, gemeinsam Sprache zu finden und auf Augenhöhe zu kommunizieren, sollte eine Kompetenz von Fachpersonen im Themenfeld sexualisierte Gewalt in der Kindheit und Jugend sein. In unserer Fachfortbildung konnten wir diese Fähigkeit nun mit mir als „explizit“ Betroffenen schulen und ich hoffe, dass sich andere Fortbildungen daran ein Vorbild nehmen und reflektiert Betroffene strukturell in ihre Ausbildungen einbinden (siehe hierzu unten Auszug aus dem Handout).
Mit Hilfe des vermittelten Wissens auch vertieft zu Täterstrategien und Täter*innen haben die Fachkräfte i.A. am dritten Tag zur Haltungen in Gesprächen mit Betroffenen, Täter*innen und Angehörigen entwickelt. Wir freuen uns, diese 20 Personen in 2024 in 5 weiteren Modulen auszubilden und dem Fachkräftemangel im Bereich sexualisierte Gewalt in der Kindheit und Jugend ein Stück weit entgegen zu wirken. (Nächster Ausbildungsgang 2025 ist schon in Planung)
Kontakt zu Betroffenen
Sexualisierte Gewalt ist durchzogen von Tabus und gesellschaftliche Zwängen, Zuschreibungen, Vorurteilen und einem diffusen, teils verängstigenden Bild von Betroffenen von sexualisierter Gewalt in der Kindheit. Diese Faktoren liegen teilweise als Projektion auf den Betroffenen und verhindern ins Gespräch zu kommen. Innerhalb der Fachwelt von Sozialer Arbeit, Psychologie und Medizin, aber auch Wissenschaft, Juristerei und Polizei, wird meist über Betroffene und nicht mit Betroffenen gesprochen (vgl. HMSI 2023, Stellungnahme Betroffene S.178ff)
Seit 2010 haben sich Betroffene mit viel Kraft und Engagement öffentlichen Raum erkämpft und ihre Sicht, Sprache und Erfahrungen in den Raum gestellt. Dennoch gelingt bis heute der Dialog mit betroffenen Personen nur bedingt. Immer wieder ist medial zu lesen bzw. in Fachkreisen zu hören, dass Beteiligungsprozesse scheitern und ein konfrontatives Gegeneinander stehenbleibt.
In den letzten 10 Jahren ist es gelungen die Sichtweise der Betroffenen als die entscheidende Erfahrungsexpertise zu erkennen, auf dessen Grundlage Prävention, Intervention und Aufarbeitung gelingen können (vgl. HMSI 2023, 3.4 „Beitrag Betroffener zu Prävention“ S.134) Die unabhängige Aufarbeitungskommission, angesiedelt bei der unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), sammelt dieses Wissen und bereitet es auf, sodass Systeme verstanden werden können.
Eine Kernkompetenz für Personen die im Bereich sexualisierte Gewalt tätig sind, ist somit mit betroffenen Personen ins Gespräch kommen zu können. Hierfür ist eine Begegnungsfähigkeit und Offenheit für die Realitäten von Betroffenen geboten. Selbstverständlich sind dabei die eigenen Grenzen immer zu wahren und Ziel einer Begegnung von Betroffenen muss nicht heißen, in die Details von Taten einzusteigen. Aber erst in der Begegnung, im sprachlichen, menschlichen Austausch können eigene Vorannahmen bewusst gemacht und hinterfragt werden. Dies ist nötig, um eventuelle blinde Flecken zu erkennen und ein Bewusstsein für die Thematik dahinter zu erlangen.
Menschen, die von sexualisierter Gewalt in der Kindheit und/oder Jugend betroffen sind, sind in erster Linie Menschen. Diese Menschen bringen eine Biografie mit, in der die sexualisierte Gewalt einen mehr oder weniger großen Stellenwert einnimmt. Doch der Mensch ist nicht nur betroffen, sondern ein Mensch mit vielerlei Eigenschaften und Facetten wie jede*r andere auch (vgl. HMSI 2023, Stellungnahme Betroffene S.178ff)
Die Offenheit, Betroffenen von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend zu begegnen, ist ein erster Schritt, um den bestehenden Tabus entgegenzuwirken und damit schon präventiv zu handeln. Des Weiteren trägt es zu einer Entstigmatisierung von Betroffenen bei. Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe werden damit ermöglicht und damit eine Veränderung einer missbrauchsfördernden hin zu einer schützenden Kultur gelingt.