Immer noch … suchen betroffene Männer* Hilfe

Schon im Jahr 1933 ahnte der Pädagoge Januz Korcak, dass Jungen* wesentlich häufiger von sexueller Gewalt betroffen sind als angenommen und durch die gesellschaftlichen Bilder von Mädchen* als Opfern und Männern* als Tätern suggeriert wurden. Er schrieb: „Es drängt sich die Frage auf, ob Vergehen an Jungen bei uns tatsächlich so ungewöhnlich selten sind oder ob die Wachsamkeit in dieser Hinsicht noch geringer ist.“ Das es betroffene Jungen* von sexuellem Missbrauch in der Kindheit gibt, stellt schon Freud in seiner ersten Studie dar, die er jedoch kurz darauf wieder zurückzieht. „Den Männern wurde später von Freud der Opferstatus noch weniger als den Frauen zuerkannt“ (Bange1992).  Betroffene Männer* machen immer wieder die Erfahrung, dass sie durch die Maschen des Systems, den Vorstellungen fallen – es passt eben nicht zum vorherrschenden gesellschaftlichen Männer*-/ Jungen*-Bild!

Die Tabuisierung von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend verhinderte Anerkennung und Hilfe für alle Betroffenen- in verändertem und unterschiedlichem Maße bis heute! Betroffene Männer* leben unter dem Doppel-Tabu von erstens sexueller Gewalt und zweitens „Männer*/Jungen* werden/sind keine Opfer“. 1990 veröffentlichen Glöer und Schmiedeskamp-Böhler ein wichtiges und mit erstes Fachbuch zu betroffenen Männern*: Die Betroffenen „waren zu den Interviews [in dem Buch] bereit, aus dem Wunsch heraus, daß die sexuelle Ausbeutung von Jungen endlich mehr Beachtung findet und ähnliche Hilfsangebote wie für Frauen auch für Männer aufgebaut werden.“

Jetzt schreiben wir das Jahr 2024, über 30 Jahre sind vergangen, der Wunsch blieb für viele betroffene Männer* unerfüllt. Manche Beratungsstellen sind für betroffene Männer* entstanden, viele sind es nicht, flächendeckend erst recht nicht. Noch immer suchen betroffene Männer* Hilfe und stoßen auf Ausschluss aus den bestehenden Hilfesystemen, weil sie Männer* sind. Das was Bange 2001 schon schrieb berichten auch heute betroffene Männer* „Immer noch wenden sich sexuell missbrauchte Jungen und Männer ernüchtert und teilweise verzweifelt an Beratungseinrichtungen […] und berichten über ihre erfolglose Suche nach Hilfe und Unterstützung“ .

Jungen* sind ebenso von sexualisierter Gewalt, von sexuellem Missbrauch in der Kindheit und Jugend betroffen und es gibt eigene Vulnerabilitäten und das Ausnutzen des männlichen Geschlechts als Täterstrategie. Wie das Zitat von Carolin Phillips Roman z.B. zeigt: „Und da sind die >Männerspiele<, zu denen ihn sein Vater seit Jahren zwingt und über die er mit niemanden reden darf.“ „Traditionelle Männlichkeitsbilder schaffen oftmals Probleme für betroffene Jungen* und Männer*. Dazu zählen unter anderem Wahrnehmungsblockaden in ihrem Umfeld“ (Dissens 2016).


Wir sind da – für betroffene Jungen* und Männer* von sexualisierter Gewalt, sexuellem Missbrauch in Kindheit und Jugend. Wir beraten dich und Sie zur erlebten sexuellen Gewalt/ sexuellen Missbrauch und allem was damit zusammenhängt.

Und – Wir setzen uns für die Hilfe und Anerkennung von betroffenen Jungen* und Männern* in der Gesellschaft und psycho-sozialen Fachwelt ein!

Literatur:

Bange, Dirk (1992): Die dunkle Seite der Kindheit. Sexueller Mißbrauch an Mädchen und Jungen. Ausmaß- Hintergründe – Folgen. Volksblatt Verlag.

Bange, Dirk (2001): Sexuelle Gewalt an Jungen. In: Dokumentation einer Fachtagung der Heinrich Böll Stiftung und des „Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse“ am 12/13 Oktober 2001 Berlin, Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung.

Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. (Hrsg.) (2016): Sexualisierte Gewalt. Männliche* Betroffene Unterstützen. Mythen, Fakten, Handlungsmöglichkeiten. https://aup.dissens.de/fileadmin/AuP/redakteure/Informationsmaterial/aup-brosch%C3%BCre_web.pdf

Glöer, Nele, Schmiedeskamp-Böhler, Irmgard (1990): Verlorene Kindheit. Jungen als Opfer sexueller Gewalt. Kunstmann.

Korczak, Janusz (1978): Verteidigt die Kinder!. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn.

Philipps, Carolin (2010): Wofür die Worte fehlen. Ueberreuter.

UBSKM: Gefährdungen und Risiken. https://beauftragte-missbrauch.de/themen/definition/gefaehrdungen-und-risiken